Hannes Wader - Wieder unterwegs songtext (lyrics)
[Hannes Wader - Wieder unterwegs songtext lyrics]
Bin ich schon seit Stunden
Auf der Straße, fahre ohne Eile
Döse vor mich hin
Bei Hannover irgendwo mach' ich eine kleine
Pause, weil ich tanken muß
Und weil ich hungrig bin
Und dann roll' ich wieder weiter an
Der Ausfahrt steh'n zwei Jungs
Ich halte an und sie steigen zu mir ein
Sie erzählen dies und jenes
Daß sie beide achtzehn sind und wollen
Noch vor Mitternacht in Frankfurt sein
Beide können keine Arbeit kriegen
Möchten gern' was lernen
Sind das jahrelange Gammeln endlich leid
Wollen sich mit Leuten treffen, denen es
Nicht anders geht, sind zum Betteln
Schlangesteh'n nicht mehr bereit
So vergeht die Zeit mit Reden
Bei der Abfahrt "Sauerland"
Bieg' ich ab und lass' die beiden wieder raus
Diese jungen Leute lassen nicht mehr
Alles mit sich machen
Vielleicht sieht die Zukunft so
Schlecht gar nicht aus!
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseit's –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus
Glutrot geht die Sonne unter, wunderbar
Doch irgendetwas ist da
Was mich deprimiert und 'runterzieht
Und der Grund ist bald gefunden
Denn im Autoradio läuft seit
Stunden so ein Disco-Schweinebeat
Ich dreh' ab, gleich geht's mir besser
Fange selber an zu singen aber plötzlich
Spuckt und stottert der Motor
Kurz entschlossen fahr' ich rechts
Auf einem Knüppeldamm entlang
Der führt kerzengrade mitten durch ein Moor
Die Benzinuhr leuchtet auf
Ich schaffe noch fünf Kilometer und
Dann sitz' ich fest – weiß nicht mal
Wo ich bin!
Es wird dunkel und ich lausche, höre Schüsse
Hundebellen: "Das sind Jäger", denk' ich
"vielleicht find' ich hin"
Und ich nehme den Kanister
Komme an ein Lagerfeuer
Seh' mich um und höre jemand
"Wer da?" schrei'n –
Schwarze Kutten, Knobelbecher, Messer und
Gewehre seh' ich
Schäferhunde: Jäger können das nicht sein!
Hände packen mich von hinten, zerren
Mich brutal zum Feuer einer
Der wahrscheinlich Chef der Gruppe ist
Schreit: "Den kenne ich, den Lumpenhund
Der singt
Undeutsche Lieder! Ein Spitzel ist er
Und ein Kommunist!
Für Spione keine Gnade! Sprengkommando
Angetreten! Sucht das Auto
Und dann jagt es in die Luft!
Unsre Jüngsten soll'n beweisen
Dass sie echte
Männer sind! Sofort abführ'n und erschießen
Diesen Schuft!"
Und schon führen mich drei Knaben
In den nah' geleg'nen Wald
Sind bleich vor Angst auch
Mir zittern die Knie
Doch ich nutze die Sekunde
Als mein Wagen explodiert
Das ist meine letzte Chance – jetzt oder nie!
Und ich renne, renne, renne, wie noch nie
In meinem Leben, höre das Geschrei
Die Schüsse hinter mir
Dazu platzt mit einemmal ein Gewitterregen
Nieder denken kann ich nicht
Nur fliehen wie ein Tier
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseit's –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus
Und mal stürz' ich über Wurzeln
Und ersticke fast im Schlamm Dornen reißen
Mir das Fleisch aus dem Gesicht
Die Stiefel hab' ich längst verloren
– ich kann keinen
Schritt mehr geh'n: mir gleich
Ob sie mich finden, oder nicht!
Und ich schlafe einfach ein
Wache erst nach Stunden auf von
Zartem Flötenspiel im Sonnenschein
Vor mir sitzt im hohen Gras
Ein Mädchen, bläst die Weidenflöte
Trägt ein selbstgenähtes Kleid
Und lächelt fein nimmt mir dann mit spitzen
Fingern den Benzinkanister ab
Denn den trage ich noch immer in der Hand
Übergibt ihn ein paar Leuten, die
Grad' in der Nähe sind
Die verbuddeln ihn fünf Meter tief im Sand
Meine Angst kommt wieder hoch
Und als ich schreie:
"Hilfe! Mörder!" sagt das Mädchen
Sanft: "Ich will, daß du verstehst:
Für uns bist du unser Bruder
Und wir wollen gar
Nicht wissen, wer du bist, woher du kommst
Wohin du gehst"
Und sie führt mich in ihr Haus, heilt mir
Meine wunden Füße, kühlt mit
Kräutern mein Gesicht, bringt Brot und Wein
Sie bereitet mir ein Lager, hockt sich hin
Zu meinen Füßen, nimmt die Flöte
Spielt – bald schlaf' ich wie ein Stein
Fühl' mich gut am nächsten Morgen und
Sie bringt mir frische Kleider
Holzsandalen und ein leinenes Gewand
Als sie sieht, dass ich noch hinke
Setzt sie mich auf einen Esel
Drückt mir Brot und Ziegenkäse in die Hand
Wär' so gerne noch geblieben
Aber ich muss weiterreiten
Weil mein Puls nun einmal
In einem Rhythmus schlägt
Der sich mit dem stillen Leben, diesem
Handgewebten Frieden fern der Welt
Auf die Dauer nicht verträgt
Doch von wegen "fern der Welt": ich
Bin kaum hundert Schritt geritten
Steh' ich schon vor einem Stacheldrahtverhau
Seit heut' Nacht ist hier
Klammheimlich – niemand hatte
Das bemerkt – ein gewaltiges
Atomkraftwerk im Bau
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseit's –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus
Wieder hör' ich Hunde bellen
Sehe Männer mit Gewehren
Schlage einen großen Bogen durch den Wald
Reite weiter, Stunden, Tage
Unter Autobahnen durch
Mach' am Ufer eines Flusses endlich halt –
Plötzlich ringsum viele Menschen
Die laut beten
Seufzen, singen, sich die Haare raufen
"Halleluja!" schrei'n:
"Seht den Mann dort auf dem Esel, das
Gewand und die Sandalen! Hosianna, Freunde
Das muß Jesus sein!"
Und ich flüchte in den Strom, spring'
Von einem Stein zum andern
Und am Ufer knien die Pilger im Gebet
Müssen zuseh'n, wie ich stürze
Wie ihr falscher Herr und Heiland –
Kaum erschienen – wieder kläglich untergeht
Gleich reißt mich die Strömung fort
Meilenweit der
Fluß wird breiter, und ich schwimme, kämpfe
Komme nicht an Land
Links und rechts Chemiefabriken
Und das Wasser schäumt und stinkt –
Halb ertrunken treibe ich zum Uferrand
Und am Ufer spielen Kinder gurgelnd schreie
Ich um Hilfe, doch es ist
Als brüllt' ich gegen eine Wand
Einer taucht die Finger in
Den giftverseuchten Fluß
Leckt sich den Schaum wie
Zuckerwatte von der Hand
Die anderen lallen, kichern, kotzen und dass
Ich ans Ufer krieche, fast verrecke
Merken sie nicht mehr
Auch ich hab' von dem Schaum gefressen
Literweise Gift geschluckt – nackter Horror
Fällt über mich her
Ich sehe Kinder mit drei Köpfen, Fratzen –
Grauenhafte Monster dringen auf mich ein
Sind plötzlich riesengroß!
Und ich kreische vor Entsetzen
Reiße einem kleinen Jungen
Schnell sein Skateboard
Aus der Hand und rase los
Doch bald komm' ich wieder zu mir
Immer noch auf meinem Skateboard
Flügelschlagend torkle ich wie ein Hahn
Auf 'ner Henne, die nicht will –
Und das bei Tempo 130
Als Geisterfahrer auf der Autobahn
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseit's –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus
Höre Hupen, Reifen quietschen, sehe
Autos bremsen, schleudern
Finde eine Ausfahrt als ich kurz darauf
Die Autobahn verlasse, und ich
Schaue mich kurz um
Türmt sich hinter mir ein Schrottgebirge auf
Der Lärm wird unerträglich
Auch Sirenen jaulen auf – "Lalülalü" –
Die Polizei ist auch schon da
Doch die sollen mich nicht kriegen!
Ich muss mich verstecken, tarnen
Und dann seh' ich auch die
Rettung schon ganz nah:
Überall am Straßenrand stehen
Hunderte von Schildern
Wahlplakate einer christlichen Partei
Darauf steht in großen
Lettern: "SOZIALISMUS FÜHRT
INS ELEND!" und ich halte an
Und greife mir gleich zwei
Die hänge ich mir um den Hals
Rolle unter dieser Tarnung unerkannt durch
Frankfurt als ein Sandwich-Mann
Die Parole auf den Schildern
Die zerriss'nen Klamotten: dies Kostüm kommt
Bei den Leuten richtig an
Als ich um die Ecke
Biege, hinterm Eschersheimer Turm
Bin ich zwischen Menschenmassen eingekeilt –
Alles linke Demonstranten
Und die starr'n auf meine Schilder nichts wie
Weg – hier werden Prügel ausgeteilt!
Doch ich weiß, die Linken lassen
Sich, bevor sie jemand schlagen
Meistens erst auf Diskussionen ein
Das bestätigt sich auch diesmal: sie
Bestürmen mich mit Fragen
Doch was ich erzähle glaubt
Mir hier kein Schwein!
Kurz und gut: diese Geschichte nimmt
Doch noch ein gutes Ende
Denn ich werde plötzlich von
Zwei Jungs erkannt –
Ausgerechnet von den beiden
Die ich mitgenommen habe zu Beginn der
Fahrt durch dies' verrückte Land
Und sie geben mir zu essen, bringen mir
Eine Gitarre und dann tu' ich das
Was ich am besten kann:
Stimme kurz das Instrument – dazu
Brauch' ich eine Stunde –
Und schon fange ich ein Lied zu singen an
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseit's –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus