Marcus Staiger - Offener Brief An Gunnar Schupelius songtext (lyrics)

[Marcus Staiger - Offener Brief An Gunnar Schupelius songtext lyrics]

Sehr geehrter Herr Schupelius

Leider bin ich nicht in der Lage
Ihre Kolumne regelmäßig zu lesen
Da ich sie oft nur schwer ertragen kann aus
Diesem Grund schreibe
Ich Ihnen erst jetzt ich bitte Sie
Dies zu entschuldigen

In Ihrem Text vom 0907, in dem Sie
Forderten, dass der Oranienplatz
Geräumt werden müsse, haben
Sie geschrieben
Dass sich die ostpreußische Großmutter eines
Ihrer Leser im Grabe herum drehen würde
Wenn diese von den aktuellen Forderungen der
Heutigen Flüchtlinge
Hören würde sie schreiben
Dass sich die jungen Männer aus Afrika
Curryhuhn knabbernd darüber beklagen würden
Dass sie nicht frei herumreisen dürfen oder


Kein Geld hätten
Ihre Familien in Afrika anzurufen sie geben
Ihrem Leser recht und wahrscheinlich
Denken sie daran, wie diese ehrbare
Deutsche Frau von den
Russen vertrieben wurde, in Berlin
Vor dem Nichts stand
Um dann hier mit viel Arbeit'skraft
Dieses Land wieder aufzubauen
Dagegen beschreiben Sie in ihrem
Text herumlungernde Wohlstandsflüchtlinge
Denen es doch eigentlich gut geht in ihren
"sauberen und sicheren Lagern" und
Deren Protest eine einzige Frechheit
Ist das klingt fast
So, als wären diese Menschen, die
Heutzutage ihre Heimatländer verlassen
Allein aus Jux und Dollerei auf der Flucht
Hätten sich auf eine entspannte
Kreuzfahrt nach Europa begeben
Und würden sich
Nun beim Reiseleiter wegen des
Mangelnden Komforts beschwerden dabei
Vergessen sie
Ein paar ganz wesentliche Dinge
Lieber Herr Schupelius weder die
Ostpreußische Großmutter
Noch die Menschen aus
Mali, Senegal, Niger, Libyen, Syrien
Afghanistan oder auch
Die ebenfalls von ihrem
"gerechten Ärger" getroffenen
Roma aus Serbien, Bulgarien oder Rumänien
Haben sich gewünscht ihre Heimat zu verlassen
Die Gründe für eine Flucht können
Unterschiedlich sein und manche
Von ihnen mögen
Ihnen lieber Herr Schupelius vielleicht
Nicht einleuchten, aber sie haben immer damit
Zu tun, dass man glaubt, an einem anderen
Ort der Erde, ein besseres Leben vorzufinden
Und wenn Sie der Meinung sind
Dass nur Gefahr für Leib und Leben
Ein guter Grund für eine
Flucht sei, dann glaube ich
Dass Hunger und Armut und
Ausgrenzung ebenfalls gute
Gründe sein können und glauben Sie mir:
Die meisten der Flüchtlinge auf dem
Berliner Oranienplatz oder in
Den diversen Aufnahmelagern haben mehr
Gewalt erfahren und gesehen
Als Sie es sich für sich
Oder ihre Kinder wünschen würden

Sie geben ihrem Leser mit der
Ostpreußischen Großmutter aber auch deshalb
Recht, weil sie sich an den
Fleiß der Trümmerfrauen erinnern
Die weder Curryhuhn geknabbert noch geklagt
Sondern hart gearbeitet
Haben dabei, lieber Herr Schupelius
Vergessen
Sie ein ganz wesentliches Detail die
Heutigen Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten
Solange ihr Asylverfahren nicht abgeschlossen
Ist sie bekommen
In den meisten Fällen noch nicht
Einmal die Möglichkeit einen ordentlichen
Deutschkurs zu besuchen sie bekommen
Gar nicht die Möglichkeit
Sich in diese Gesellschaft einzubringen
Und für ihren
Eigenen Lebensunterhalt zu sorgen sie
Sind dazu verdammt, in ihren "sauberen und
Sicheren Unterkünften"
Irgendwo, am Rande der Gesellschaft ihre Zeit
Totzuschlagen, zu sitzen, zu warten, zu
Essen, was man ihnen aus
Irgendwelchen Großküchen zu essen
Schickt, zu schlafen, zu sitzen, zu warten
Zu essen und zu schlafen das
Ist auch ok für eine gewisse
Zeit zunächst sind alle Flüchtlinge
Die es nach Deutschland geschafft
Haben, äußerst dankbar dafür
Dass man sie überhaupt aufgenommen hat für
Eine gewisse Zeit ist das für
Alle in Ordnung das sind Unpässlichkeiten
Wie Sie sich ausdrücken, und keiner
Beklagt sich nach einem halben Jahr
Allerdings werden solche
Unpässlichkeiten unangenehm
Nach einem Jahr werden
Solche Zustände unerträglich und
Nach zwei drei
Vier Jahren oder gar zehn Jahren, die
Sich solche Asylverfahren hinziehen
Wird das Ganze
Zerstörerisch wissen Sie Herr Schupelius
Auch Gefängnisse sind sauber und sicher

In ihrem zweiten Text zum
Protestcamp schreiben Sie
Man könne über die politischen
Forderungen der Flüchtlinge
Reden mit wem? Wo? Mit Ihnen?
Wer hört zu? Seit zwanzig Jahren stellen
Die Flüchtlinge und ihre Organisationen
Immer wieder dieselben Forderungen
Abschaffung der Residenzpflicht
Abschaffung der Lager abschiebestopp
Seit zwanzig
Jahren passiert nichts seit neun Monaten gibt
Es diesen Protest auf dem
Oranienplatz und als sich zu
Weihnachten iranische Flüchtlinge am
Brandenburger Tor die Münder zugenäht
Haben, hieß es
Diese Form des Protestes sei zu krass
Trotzdem wurde kurz über die Forderungen
Der Flüchtlinge geredet
Doch dann hat man sie leider wieder
Vergessen und keiner hat mehr
Darüber geredet das Camp nervt, sogar Sie
Reden darüber lassen Sie uns reden
Herr Schupelius reden ist gut

Sie sind kein Rassist Herr Schupelius sie
Sind ein ganz normaler Mann aus
Der Mitte der Gesellschaft
Mit einem gerechten
Ärger, der das Glück hatte
Eine einigermaßen gute Bildung zu genießen
Und jetzt auf einer mittelmäßig
Einflussreichen Stelle sitzt ihr Ärger ist
Zwar ziemlich selbstgefällig und
Mehr selbstgerecht als gerecht und
Wahrscheinlich denken Sie
Tatsächlich, dass Sie diese Stelle
Aufgrund ihres Fleißes und
Ihrer Kompetenz bekommen haben vielleicht
Haben Sie Recht, vielleicht aber haben Sie
Auch nur die richtigen Leute zur
Richtigen Zeit kennen gelernt
Und waren zur richtigen Zeit
Am richtigen Ort das
Glück lieber Herr Schupelius ist eine
Nicht zu unterschätzende Größe
In unser aller Leben und mal gewinnt man
Mal verliert man die Chancen allerdings in
Dieser Gesellschaft überhaupt gewinnen
Zu können
Die sind recht ungleich verteilt und
In einem sauberen und sicheren
Sammellager in Eisenhüttenstadt, in
Dem man tatenlos, hoffnungslos und
Ohnmächtig herumsitzen muss
In so einem Sammellager gehen diese
Chancen gegen null herr
Schupelius, Sie sind clever und
Engagiert und es scheint
Als wollten Sie sich
Gesellschaftlich einbringen vielleicht
Ist es auch ganz anders und Sie sind
Nur noch genervt von ihrer Kolumne
Dem ganzen gerechten Ärger
Und vielleicht schreiben
Sie auch nur noch auf, wovon Sie ausgehen
Dass es den Spießbürgern auf der
Seele brennt – egal –
Auf jeden Fall wollen oder
Wollten Sie augenscheinlich etwas
Aus ihrem Leben machen ob es gelungen ist
Müssen Sie selbst wissen worauf ich
Hinaus will: Vielleicht würden aber auch Sie
Sich auf den Weg machen
Wenn Sie sich in einer
Solch ausweglosen Situation
Wiederfinden würden, vielleicht würden auch
Sie ein solches Lager verlassen und losgehen
Sich selbst organisieren und sich lieber auf
Den Oranienplatz setzen, Curryhuhn knabbern
Und politische Forderungen stellen
Weil auch Sie nicht mehr ertragen könnten
Wie ihr Potenzial vor die Hunde geht sie
Der Sie eigentlich auch mehr sein
Wollen, als der Durchschnitt, der
Sie sind sie
Der ein bisschen mehr Glück gehabt hat im
Leben und das nur allzu gerne vergisst

In diesem Sinne
Alles Gute und weiterhin viel Erfolg

Marcus Staiger

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