Reinhard Mey - Der Bruder songtext (lyrics)
[Reinhard Mey - Der Bruder songtext lyrics]
Dem kühlen Fast-Food-Restaurant
Am frühen Nachmittag in Gottes eignem Land
Zwischen Cottondale und Springfield
Irgendwo am Highway 231
Wie ein Faustschlag kommt die Hitze
Und kein Windhauch regt
Sich, die Coladose in meiner Hand beschlägt
Und das große, grüne Mietauto da
Vorne auf dem Parkplatz, das ist meins
Drei Tage hab‘ ich noch, das heißt
Drei Tage nur ‘ne Woche Urlaub
Viel zu kurz für so ‘ne Tour
Du bleibst immer an der Oberfläche
Tiefer siehst du einfach nicht
Ich lass‘ mich hinters Steuer fallen
Lass‘ den Motor an
Die Knöpfchen gehn von ganz
Alleine runter und dann
Faucht die Klimaanlage mir den
Alabama Sommer vom Gesicht
Und als ich aufseh steht da
Dieser Mann neben mir
Ein Schwarzer und er legt die
Hand auf meine Tür legt seine Hand auf den
Türgriff aus blitzendem Chrom
Und er hält ein bekritzeltes Stück Pappe an
Die grüngetönte Seitenscheibe und ich kann
Mit Mühe nur ein Wort entziffern
Irgendwas wie "Home"
Total daneben und ziemlich abgerissen
Sieht er aus pass auf
Gleicht holt er seine 44er Magnum raus
Genau wie ich es im Kino
Tausend mal gesehen hab‘
Er lächelt müde und seine
Zähne schimmern weiß
Aus seinen Haaren und von seinem
Gesicht perlt der Schweiß
In glänzenden Rinnsalen in sein
Zerschliss‘nes T-Shirt hinab
Und mein Polster ist weich und
Das Six-Pack zur Hand
Und der Motor säuselt wie
Ein Morgenwind im Stand
Und das Leder ist glatt und
Kühl an meiner Haut du hast ein Auto
Das ist dreimal so lang wie dick
Du bist allein und du hast Zeit
Du meidest seinen Blick
Hast du Angst oder was, oder denkst du
Dass er dir die Cola klaut?
Und ich schüttel‘ den Kopf, wirklich Mann
Tut mir leid
Das Thermometer steht auf 104 Grad Fahrenheit
Die Reifen quietschen beim Rangier‘n
Auf dem weichen, klebrigen Asphalt
Und ich seh ihn auf dem
Glühend heißen Parkplatz stehn
Ich kann ganz deutlich dieses
Traurige Lächeln sehn
Und im Rückspiegel die große, unschlüssige
Gotttverlassene Gestalt
Die Straße zieht sich im flirrernden
Licht vor mir hin
Mit geht diese Begegnung einfach
Nicht aus dem Sinn
Wie er fragend in der abgeriss‘nen
Latzhose vor mir stand
Und du malst dir gleich
‘nen ganzen Horrorfilm aus, -
Ein Feldarbeiter war das
Wollte nichts als nachhaus
Und du lässt den Menschenbruder
Einfach stehn am Straßenrand!
"Hast ihm das Fenster nicht
Mal einen Spaltbreit aufgemacht
Du hast nur weggesehen
Nur weggesehen!" grummelt der V8
Und die Air Condition zischelt: "Ein
Schöner Menschenfreund bist du!"
Und die Reifen summen: "Hat
Man sowas schon gesehn
Lässt den Bruder auf dem
Sonnenglüh‘nden Parkplatz stehn!"
Und die Fugen in der Fahrbahn rumpeln:
"So kommst du nicht zur Ruh‘!"
Die nächste Ausfahrt raus und wenden
Und den Weg zurück
‘ne halbe Stunde Weg und mit
‘nem kleinen bisschen Glück
Ist er noch da und ich
Schwör, dann fahr‘ ich ihn
Wohin immer er will lass ihn noch da sein
Nur ‘ne Viertelstunde noch
Nur drei Minuten, geh nicht weg, Mann
Ich fahr dich doch!
Und da endlich liegt der Parkplatz und
Er ist verwaist und still
Manchmal glaub‘ ich ihn zu
Sehn da am Straßenrand
Manchmal könnt‘ ich schwör‘n
Ich hab‘ ihn wiedererkannt ist es nicht der
Der die Wäsche holt und dir das Essen bringt?
Ist es nicht der
Der deinen Wagen durch die Waschanlage fährt
Im Hotel die Messinggriffe putzt
Die Hecke schert der zum Piano in der Bar
Für angetrunk‘ne Nadelstreifen Gospel singt?
Immer der
Der auf der falschen Stadtseite wohnt
Immer den härteren Job und
Immer schlechter entlohnt
Immer der, den man einfach mit "Du" anspricht
Immer der mit dem zerschlissenen Overall
Immer wach, immer Alarm, immer und überall
Immer der mit dem enttäuschten
Lächeln im Gesicht
"Hast ihm das Fenster nicht
Mal einen Spaltbreit aufgemacht
Du hast nur weggesehen
Nur weggesehen!" grummelt der V8
Und die Air Condition zischelt: "Ein
Schöner Menschenfreund bist du!"
Und die Reifen summen: "Hat
Man sowas schon gesehn
Lässt den Bruder auf dem
Sonnenglüh‘nden Parkplatz stehn!"
Und die Fugen in der Fahrbahn rumpeln:
"So kommst du nicht zur Ruh‘!"
Vielleicht war es der Messias
Der nach zweitausend Jahr‘n
Noch mal gekommen ist, und du
Du hast ihn nicht gefahr‘n
Mit deinem chromblitzenden
Air-condition daunenweichen Thron
Oh, das kriegst du nicht
So einfach wieder gutgemacht
Du hast den Bruder nicht nach Haus gebracht!
Und einem Vater nicht seinen verlorenen Sohn