Reinhard Mey - Die Homestory songtext (lyrics)
[Reinhard Mey - Die Homestory songtext lyrics]
Und als ich noch starr vor Schrecken stand
Wurde mir erst bewusst, ich hatte soeben
Mein Einverständnis für eine
Homestory gegeben
Noch klangen unheilschwer die Worte in mir:
"Wir kommen dann am Dienstag
Um viertel vor vier
Wir halten Sie auch gar nicht auf
Nach anderthalb Stunden ist alles im Kasten
Wir sind wieder verschwunden
Wir machen ein paar Fotos von Ihnen, und dann
Erzähl'n Sie mir, wie das alles begann"
Der Dienstag kam, und um die Mittagszeit
Klingelte es, sie waren zu zweit
Eine Dame mit dem
Blick des Löffeljournalisten
Ein Fotograf, beladen mit Koffern und Kisten
"Wir sind wohl etwas früh
Bitte stör'n Sie sich nicht
Hm, da schnuppert hier ja
Ganz wie mein Lieblingsgericht
Ich setz' mich zu Ihnen
Sie können unterdessen
In aller Ruhe zu Ende essen"
Ich fragte, ob sie auch was wollten
Beide nahmen an
"Nun erzähl'n Sie mal, wie das alles begann"
"Tja, das war so", sagte ich "Stopp mal" rief
Die Dame, "Herr Schlottke
Na los das ist doch ein Motiv
Sie könnten schon mal das Licht auspacken"
Herr Schlottke kaute noch auf beiden Backen
Begann Stativ und Lampen zu installier'n
Ohne dabei seinen Teller aus
Den Augen zu verlier'n
"Also, gut seh'n Sie nicht
Aus", sprach die Dame, "vielleicht schminken
Sie sich noch ein wenig
Während wir Kaffee trinken
Und vielleicht zieh'n Sie sich auch
Ein bisschen netter an
Danach erzähl'n Sie mir
Wie das alles begann"
Als ich wiederkam
War der Cognac niedergemacht
Meine Frau hatte zum dritten
Male Kaffee gebracht
Der Fotograf nicht faul
In der Rechten ein Stück Kuchen
Begann für's Licht eine zweite
Steckdose zu suchen
Von der ersten, die er fand
Zeugte nur ein schwarzes Loch
Aus dem es ungeheuer nach
Verbranntem Kabel roch
Und gleich danach schlug er behende
Für die Lampen ein paar Nägel
In Türen und Wände
"Auf ein paar Löcher", sprach die Dame
"kommt's ja wohl nicht an
Und nun erzähl'n Sie doch mal
Wie das alles begann"
"Tja, also", "Richtig" rief sie
"das sagten Sie schon! Ach verzeih'n Sie
Dürft' ich mal an Ihr Telefon?
Ich müsste schnell für morgen
Zwei Termine umbuchen
Vielleicht könnten Sie schon mal die
Vorwahl von Madrid raussuchen"
Im Wohnzimmer schrie der Fotograf
Der beim Nageln auf der
Leiter seinen Zeigefinger traf
Im Fallen muss der den
Vorhang noch ergriffen haben
Denn er lag am Boden, von Gardinen begraben
Die Dame sprach: "Ich ruf
Noch rasch zuhause an
Und dann erzähl'n Sie mir
Wie das alles begann"
Der Fotograf hatte sich außer Gefecht gesetzt
Und ich hoffte insgeheim: Vielleicht
Gehen Sie jetzt dabei hatt' ich nur den
Alten Grundsatz ganz vergessen:
Ein Journalist geht niemals
Vor dem Abendessen!
Und da saßen sie auch schon
Die Serviette vor dem Bauch
"So ein Arbeit'stag macht hungrig
Ganz schön durstig macht er auch
Und wenn Sie zufällig an
Der Küche vorbeikommen
Ich hätt' gern noch etwas
Von der Vorspeise genommen
Und nach dem Nachtisch setzen wir
Uns rasch nach nebenan
Und Sie erzähl'n mir dann
Wie das alles begann"
Als die Dame aufstand
Torkelte sie bereit's leicht
Und hätte fast noch das Sofa erreicht
Zerbrach dabei jedoch eine antike
Vase und lallte:
"Na, is' ja nich' so schlimm
War ja sowieso 'ne alte"
Ein äußerst heft'ger Schluckauf begann
Sie zu quäl'n zwischendurch versuchte sie
Von ihrer Kindheit zu erzähl'n
Der Fotograf war, wie erwartet
Sinnlos betrunken
Im Sessel röchelnd in Tiefschlaf versunken
Die Dame sah mich mit
Glas'gen Walrossaugen an
Und rülpste: "Nu erzähl'n Sie mal
Wie das alles begann"
Ich stand auf und trug schon
Mal die Scherben hinaus
Löschte leis' den Zigarettenbrand
Im Sofakissen aus
Begann die Speisereste vom Teppich zu räumen
Rief ein Taxi und weckte meine
Zwei aus ihren Träumen
Die Redakteurin flüsterte
Nach einem Blick zur Uhr:
"Genug getan für heute
Blinder Eifer schadet nur
Die Story ist ja schon so gut wie fertig
Keine Sorgen und Fotos kann ich mir auch
Aus dem Archiv besorgen"
Vier Wochen später las ich
In der Illustrierten dann
Völlig sprachlos, wie das alles begann