Reinhard Mey - Faust in der Hand songtext (lyrics)
[Reinhard Mey - Faust in der Hand songtext lyrics]
Ihm vor dem Schulhaus stand
Unter dem Arm die große bunte Tüte
Da spürt‘ ich seine kleine
Heiße Faust in meiner Hand
Und wusste, dass er ahnte, was ihm blühte
Mein erster Schultag endete
In einem Tränenmeer
Doch hatte ich nie vor ihm davon gesprochen -
Wie wurde schon am ersten Tag mein
Ranzen mir so schwer -
Doch schlau hatte er den
Braten längst gerochen
Und als die anderen Kinder
Mit der Lehrerin fortgingen
Hab‘ ich seine Verzweiflung
Und Verlassenheit gespürt
Und musst‘ ihn flehend
Bittend dennoch in die Klasse bringen
Und fühlte mich, wie wenn man ein Kälbchen
Zur Schlachtbank führt
Es gab nur Liebe und Versteh‘n
Gab nur Freiheit bislang
Und nun droh‘n Misserfolge und Versagen
Der Wissensdurst versiegt unter
Bevormundung und Zwang
Die Gängelei erstickt die Lust am Fragen
Die Schule macht sich kleine graue Kinder
Blass und brav
Die funktionier‘n und nicht in Frage stellen
Wer aufmuckt, wer da querdenkt
Der ist schnell das schwarze Schaf
Sie wollen Mitläufer, keine Rebellen
Ja-Sager wollen sie
Die sich stromlinienförmig ducken
Die ihren Trott nicht stör‘n
Durch unplanmäß‘ge Phantasie
Und keine Freigeister
Die ihnen in die Karten gucken
Und die vielleicht schon ein Kapitel
Weiter sind als sie
Wie oft bist du in all den
Jahren aus dem grauen Tor
Bemäkelt und getadelt rausgekommen
Wie oft habe ich ahnungsvoll
Und stillschweigend davor
Den Delinquenten in den Arm genommen!
Wie oft hab‘ ich den Spruch gehört:
Ihr Sohn hat nur geträumt
Ihr Sohn hat mit Papierfitzeln geschossen
Ihr Sohn hat trotz Ermahnung
Seinen Platz nicht aufgeräumt
Ihr Sohn hat sein Tuschwasser ausgegossen!
Und nie: Ihr Sohn ist vor
Der ganzen Klasse aufgestanden für einen
Den sie peinigten und quälten bis auf‘s Blut!
In dieser Welt kommen uns
Die wahren Werte abhanden
In dieser Schule gibt es kein
Fach Menschlichkeit und Mut
Manchmal wünscht‘ ich
Wir wär‘n an diesem Tag nicht mitgegangen
Und lieber, wie im Kinderlied
Zu Doc David nach Fabuland
Du hättest nicht nochmal an
Jener Stelle angefangen
Wo ich schon einmal stand - die
Faust in meines Vaters Hand!