Reinhard Mey - Lass es heut' noch nicht geschehen songtext (lyrics)

[Reinhard Mey - Lass es heut' noch nicht geschehen songtext lyrics]

Es ist mein drittes Weihnachten
Kerzen erhell'n den Raum
Wie rote Äpfel hängen die
Glaskugeln dort am Baum
Ich greife nach der größten und
Hab' sie schon zerkaut
Noch ehe mir Mutter kreidebleich
Auf die Finger haut
Die Straßen sind plötzlich so fremd
Jetzt ist der Abend da
Ich bin fünf und zu Fuß
Auf dem Weg nach Amerika
Ich friere und hab' Durst und find'
Es gar nicht so verkehrt
Dass mich jetzt grad' die Funkstreife
Packt und nach Hause fährt

Nein, lass es heut' noch nicht geschehen
Nein, ich bin doch noch nicht bereit
Ich kann doch nicht so einfach gehen
Es ist doch noch nicht meine Zeit!


Seit heute kann ich Schleifen binden
Und mich selbst anzieh'n
Seit heut' hab' ich ein Fahrrad
Und Heftpflaster an den Knien
Hm, es ist gut im Hause
Meiner Eltern Kind zu sein
Heut' geh' ich meinen Schulweg
Zum ersten Mal allein
Heut' habe ich als erster
Meinen Freischwimmer gemacht
Heut' hab' ich Ulla nach der
Tanzstunde nach Hause gebracht
Heut' nacht war es
Dass sie mich heimlich in ihr Zimmer ließ
Das ich auf Zehenspitzen heut'
Im Morgengrau'n verließ

Nein, lass es heut' noch nicht geschehen
Nein, ich bin doch noch nicht bereit
Ich kann doch nicht so einfach gehen
Es ist doch noch nicht meine Zeit!

Schwarze Figuren wanken einen
Merkwürdigen Trab
Gleichgültige Gestalten tragen einen
Freund zu Grab
Ich hör' die Reden, und es ist mir
Als müsste ich schrei'n ich laufe
Bis mir schlecht wird – ich muss alleine sein
In den kalkweißen Kacheln
Unser beider Spiegelbild
Auf ihren spröden Lippen blüht ein Lächeln
Das mir gilt das Kämpfen ist vorüber
Nun hält sie winzig und warm
Und unendlich verletzlich unser erstes
Kind im Arm

Nein, lass es heut' noch nicht geschehen
Nein, ich bin doch noch nicht bereit
Ich kann doch nicht so einfach gehen
Es ist doch noch nicht meine Zeit!
Noch nie hab' ich die staubige
Erde so gern berührt
So sanft und weich die Steine
An meinen Füßen gespürt
Noch nie hab' ich das Gras
Am Wegesrand lieber geseh'n
Noch nie den Wind so zärtlich
Durch die jungen Halme geh'n
Noch nie hab' ich den Duft
Der Felder in der Mittagsglut
So gierig eingesogen, nie war mir so zumut'
Beim Anblick eines Raben
Der am Mittagshimmel schwebt
Und langsam niedersinkt – ich hab'
Noch nie so gern gelebt!

Nein, lass es heut' noch nicht geschehen
Nein, ich bin doch noch nicht bereit
Ich kann doch nicht so einfach gehen
Es ist doch noch nicht meine Zeit!

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